Pressemitteilungen
Bürgerrat und Briefwahl
Am Nachmittag wurde die Debatte zum Gesetzentwurf Nr. 32 wieder aufgenommen: Änderungen zum Regionalgesetz Nr. 2 vom 3. Mai 2018 „Kodex der örtlichen Körperschaften der Autonomen Region Trentino-Südtirol“ mit nachfolgenden Änderungen und Bestimmungen zwecks Einführung eines nach dem Zufallsprinzip zusammengesetzten BürgerInnen-Rates (eingebracht von den Abg. Marini und Nicolini).
Sie sei seit zwei Jahren Mitglied im ersten Bürgerrat Südtirols in der Gemeinde Schenna, berichtete Myriam Atz Tammerle (Süd-Tiroler Freiheit). Thema sei die Dorfentwicklung gewesen, Landwirtschaft, Tourismus, Arbeitsplätze, Freizeitgestaltung, Nachtleben, Mobilität u.a. Von den 48 Teilnehmern seien hunderte von Vorschlägen gesammelt und gebündelt dem Gemeinderat vorgelegt worden. Es sei eine bereichernde Erfahrung gewesen, die Menschen seien sich näher gekommen, man habe gelernt, andere Positionen und Interessen zu verstehen. Wichtig sei, dass die Vorschläge nicht in der Schublade verstaubten, denn sonst wären die Bürger enttäuscht und würden sich abwenden.
Magdalena Amhof (SVP) verwies auf den Bürgerrat, der im Rahmen der Euregio eingesetzt wurde. Dieser und auch jener, den Atz Tammerle genannt habe, seien gute Beispiele, auch jene in Vorarlberg. Auch im Südtiroler Landesgesetz zur direkten Demokratie seien solche Bürgerräte vorgesehen. Amhof verwies aber auch auf die negativen Gutachten des Rates der Gemeinden und des Trentiner Rates der Autonomien. Die Gemeinden wollten sich diese neuen Gremien nicht aufdrängen lassen, daher wolle man das Thema noch vertiefen. Daher werde man dem Gesetzentwurf heute nicht zustimmen.
Ass. Giorgio Leonardi sprach sich im Namen der Regionalregierung gegen den Gesetzentwurf aus. Er stehe auch im Widerspruch zur Entscheidung, die Zahl der Gemeinderäte zu reduzieren.
Alex Marini (Movimento 5 Stelle) bemerkte die Geschwindigkeit, mit der die Gemeinden den Entwurf abgelehnt hätten, sie seien wohl schon im Wahlkampf. Marini zitierte die Studie eines Wirtschaftswissenschaftlers, wonach sich die Qualität der Gesetzgebung verbessere, wenn die Entscheidungsträger nach dem Zufallsprinzip ausgewählt werden.
Der Gesetzentwurf wurde mit 21 Ja, 28 Nein und 5 Enthaltungen abgelehnt.
Gesetzentwurf Nr. 29: Änderungen zum Regionalgesetz Nr. 2 vom 3. Mai 2018 „Kodex der örtlichen Körperschaften der Autonomen Region Trentino-Südtirol“ mit nachfolgenden Änderungen und Bestimmungen zur Vereinfachung und Modernisierung der Wahlverfahren (eingebracht von den Regionalratsabgeordneten Marini und Nicolini). Die vorgeschlagenen Maßnahmen: Zusammenlegung der Gemeindewahlen und der Volksabstimmungen auf Regional- und Landesebene, digitale Veröffentlichung der Wahlplakate in einem eigenen Bereich der institutionellen Web-Seite der Gemeinde, versuchsweise Einführung der Briefwahl für die Direktwahl des Bürgermeisters und des Gemeinderates, Briefwahl für die Erneuerung der Gemeindeorgane und für die Volksabstimmungen auf Gemeindeebene.
“Mit diesem Gesetzesentwurf sollen neue detaillierte Bestimmungen eingeführt werden, um die Wahlverfahren bei Wahlen und Volksabstimmungen auf kommunaler Ebene zu vereinfachen, zu beschleunigen und zu modernisieren”, erklärte Alex Marini (Movimento 5 Stelle) und nannte zahlreiche Länder, in denen die Briefwahl schon lange Praxis sei und in denen, anders als bei uns, die Wahlen nicht wegen der Corona-Pandemie verschoben werden mussten. Er betonte auch, dass die Briefwahl für Heimatferne bereits vorgesehen sei. Die Briefwahl werde unter anderem vom Europarat und von der UNO empfohlen und sei ein Mittel gegen Wahlmüdigkeit. Information sei die Voraussetzung für eine bewusste Wahl, daher müsse man den Wählern auch eine verständliche Information zum Wahlmodus zukommen lassen.
Der Gesetzentwurf komme zu einem Zeitpunkt, in dem die Wahlmüdigkeit in Italien ein großes Thema sei, bemerkte Riccardo Dello Sbarba (Grüne), bei den jüngsten Regionalwahlen in der Lombardei und in Latium habe man die bisher geringste Wahlbeteiligung festgestellt, knapp zwei Drittel seien nicht wählen gegangen. In Zeiten der sozialen Medien hätten die Parteien ihre Mittlerrolle verloren. Die Menschen seien es heute gewohnt, alles online und sofort zu haben, sie würden nicht eigens in ihre Heimatgemeinde fahren, um zu wählen. In einer Demokratie sei das Volk der Souverän, und man müsse den Wahlmodus an seine Bedürfnisse anpassen.
Diego Nicolini (Movimento 5 Stelle) erklärte, dass die Krise der Politik gegenwärtig sei und dass die Vermittlung von einem Teil der Gesellschaft nicht mehr akzeptiert werde. Aber diese Krise der Methode bedeute nicht, dass es keinen Wunsch mehr gebe, sich zu beteiligen. Große Innovationen würden auch von denen vorangebracht, die keine direkte politische Erfahrung hätten. Der Beitrag neuer Gesichter und neuer Werkzeuge der digitalen Demokratie sei notwendig und könne durch die Stärkung der Fähigkeiten der Zivilgesellschaft geleistet werden.
Die Bevölkerung habe immer weniger Vertrauen in die Politik, erklärte Hanspeter Staffler (Grüne). Das sei Anlass genug, über die Briefwahl nachzudenken, die in Österreich bereits von 15 Prozent der Wählerschaft genutzt werde. In einer Zusammenlegung von Wahlen und Volksabstimmung sehe er hingegen keinen großen Fortschritt, sie würde die Sache verkomplizieren. Die Kosten sollten kein Argument sein, Demokratie dürfe uns nicht zu teuer sein. Demokratie könne nicht durch einen großen Wurf wiederbelebt werden, es müsse Schritt für Schritt gehen.
Die Briefwahl sei sicher eine Bereicherung für die Demokratie, meinte Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit), das Problem sei die Durchführbarkeit. In Südtirol sei die italienische Post nicht in der Lage, die Briefe rechtzeitig der Wahlbehörde zuzustellen. So seien bei der letzten Wahl viele Stimmen vernichtet worden. Interessant wäre die sog. flexible Wahlkarte, die man auch in einer anderen Gemeinde abgeben könne. Eine andere Möglichkeit wären mobile Wahlsprengel, z.B. für Altersheime. Bei der Zusammenlegung von Wahl und Referendum wäre zu klären, wie weit der Abstand zu einem neuen Urnengang sein müsse.
Ass. Lorenzo Ossanna teilte das Anliegen, mehr Menschen zur Wahl zu bewegen. Das Problem sei die Umsetzbarkeit, vor allem in den Gemeinden mit zwei Wahlgängen. Es sei nicht möglich, in 15 Tagen die Unterlagen für die Stichwahl zuzustellen.
Alex Marini ging auf einige Einwände und Fragen in der Debatte ein. In den USA gebe es den “Election Day”, bei dem Wahlen und Volksabstimmungen gleichzeitig stattfinden würden. In der Schweiz werde der Wahltermin bereits Jahre voraus festgelegt. Im Trentino gebe es mehr Probleme mit der Post als in Südtirol, aber das sei kein Grund, auf einen Fortschritt zu verzichten.
Der Gesetzentwurf wurde mit 19 Ja, 28 Nein und 2 Enthaltungen abgelehnt.
Gesetzentwurf Nr. 50: Maßnahmen zur Nutzung und Wiederverwendung von Gütern und Unternehmen der organisierten Kriminalität, die beschlagnahmt und eingezogen worden sind (eingebracht von den Regionalratsabgeordneten Marini und Nicolini).
Der Gesetzentwurf gehe auf eine Aufforderung durch die Konferenz der Präsidenten der gesetzgebenden Versammlungen der Regionen und der autonomen Provinzen zurück, die den Regionalräten auch zwei Musterentwürfe übermittelt hat, berichtete Alex Marini (Movimento 5 Stelle). „Es wird viel über Süditalien gesprochen, aber wir beginnen nun, diese Art von krimineller Präsenz auch in unserer Region wahrzunehmen.“
Die Debatte zum Gesetzentwurf wurde auf die nächste Sitzung des Regionalrats (19. April) vertagt.